Füssener Heimatzeitung Nr. 212

49 Füssener Heimatzeitung Nr. 212 vom November 2021 / II Letzter Hilferuf Drei Tage vor seinem Tod griff König Ludwig auf Schloss Neu- schwanstein noch zu seinem Fe- derhalter, um einen verzweifelten Hilferuf an seinen Cousin Ludwig Ferdinand zu schicken. Dort schreibt er: „Vergib die schlechte Schrift, ich schreibe dieß in höchster Eile. Denke was Uner- hörtes heute geschehen ist!“ Wei- ter schreibt er über „eine schänd- liche Verschwörung“ und dass die „Schand-Rebellen“ gefangen genommen worden seien. „Wie kann aber eine solche Infamität nur möglich sein!“, stöhnte der König. „Es ist zu arg. Es muß Licht in diesen Abgrund von Bos- heit kommen!“ – und das sollte sein Vetter durch eigene Nach- forschungen vorantreiben. Drei Tage später war er tot. Der König witterte schon die Verschwörung gegen sich, die ihn ja letztlich in den Tod trieb. Ein Mythos, der bis heute nicht geklärt ist. Jetzt, 135 Jahre später, sind diese Schreibutensilien, mit denen der König so viel geschrieben hat, vor allem eben diesen letzten Hilferuf, wieder an den Original- platz zurückgekehrt. Grund für die Sicherung dieser Exponate in Depots ist vor allem auch ihre Kostbarkeit. Denn die Schreib- mappe ist mit Bergkristallen und Halbedelsteinen besetzt. So et- was kann man nicht einfach dem Besucherstrom aussetzen. Schreibmappe ziert ein Schwan Der rund 150 Jahre alte Feder- halter ist vor der Präsentation im Restaurierungszentrum der Baye- rischen Schlösserverwaltung ge- reinigt und restauriert worden. Die ursprüngliche Silberoberflä- che war vollständig oxidiert. Nach der Restaurierung kam die Feu- ervergoldung wieder zum Vor- schein. Auch der schwere, mit Halbedelsteinen besetzte Deckel der Schreibmappe wurde im Res- taurierungszentrum bearbeitet. Der Schwan, der den Deckel ziert, hat ein neues Auge aus rotem böhmischen Rubinglas mit Dia- mantschliff bekommen. Moderne Schreibmappe Das Arbeitszimmer befindet sich in der Königswohnung im dritten Stock, in der Führungslinie direkt nach der Grotte. Dort ging Ludwig II. an seinem Schreibtisch einer der Hauptaufgaben eines Königs seiner Zeit nach: demUnterzeich- nen von Urkunden, Gesetzesvor- lagen und Ernennungen. Daher wurde die Schreibmappe innen auch modern ausgestattet: mit zahlreichen Fächern aus saugfä- higer Pappe, in denen die Tinte auf den unterzeichneten Schrift- stücken trocknen konnte. Kirchliche Vorlagen Alle Teile der Schreibgarnitur sind nach kirchlichen Vorbildern ge- staltet. Der Briefbeschwerer ist an Reliquienschreinen orientiert, Tinten- und Streusandbehälter an Vasa Sacra, also zum Beispiel Hostienbehältern. Den Deckel der Schreibmappe zieren Prachtein- bände kirchlicher Handschriften wie Bibeln, Stundenbücher, Evan- geliare, hier von Vorbildern des p Die Schreibmappe von König Ludwig II. im Arbeitszimmer von Schloss Neuschwanstein ist nach 135 Jahren erstmals wieder zurückgekehrt. Bild: © Bayerische Schlösserverwaltung Fortsetzung auf Seite 50

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