Füssener Heimatzeitung Nr. 212

143 Füssener Heimatzeitung Nr. 212 vom November 2021 / II König Ludwig II. und sein Bruder Prinz Otto lehnten einen Einheitsstaat unter preußischer Führung entschieden ab. Aber nicht nur die beiden waren auf die Preußen nicht gut zu sprechen, sondern auch viele Bewohner Bayerns. Schon 1810 befürchtete der Münchner Historiker Johann Christoph von Aretin, „wenn es ihnen [den Preußen] gelingt unsere [also Bayerns] üppige Lebensfülle mit ihrer nördlichen Kälte und Steifheit zu ersticken, so ist unser Vaterland un- wiederbringlich zu Grunde gerichtet.“ Dass dies geschehen könnte, daran glaubte Aretin, denn „die Nordteutschen verachten und hassen die Südteut- schen, glauben sich weit vor ihnen voraus, und werden nie den herzlichen, unbefangenen Sinn derselben zu fassen oder zu schätzen wissen.“ Anno 1867 ließen Dorfbewohner in der Nähe von Traunstein – der Schriftsteller Ludwig Thoma nennt den Ort „Dürnbuch“ – ihrem Preußenhass freien Lauf. Kein Preuße durfte sich im Dorf blicken lassen, wenn er heil davonkommen wollte. Grund für den Hass auf die sogenannten „Saupreißn“ war vor allem der preußische Militarismus, dem nicht nur zwei Kriege 1866 und 1870 zu „verdanken“ waren, sondern auch die Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 unter Preußens Führung, wodurch Bayern seine Souveränität verlor. Bis heute gelten die Preußen bei Bayerns Ureinwohnern als militant, arrogant und besserwisserisch. Darauf reagieren die Preußen mit Spott und diffamieren die Bayern gerne als bornierte und eigenbrötlerische „Seppln“. Ihre Kritik hinderte die „Nordlichter“ aber nicht, sich scharenweise in Bayern anzusiedeln und sich dort pudelwohl zu fühlen.Ludwig II. musste sich während seiner Re- gierungszeit nach und nach dreizehn üble Demütigungen von Preußen gefallen lassen, was ihnen der König und seine bayerischen Untertanen bitter übel nahmen. Die erste Demütigung des Königs – Schande, ein halber Preuße zu sein! Ludwigs Abneigung gegenüber Preußen wurde schon in der Kindheit grundgelegt. Verantwortlich dafür war zweifellos das gestörte Verhältnis zu seinen Eltern, zu König Max II. und seiner Mutter Marie. Von beiden war der Kronprinz „angepreu- ßelt“, was ihm gar nicht gefiel. Während es den Vater Überwindung kostete, seinen Sohn Ludwig zu einem Morgenspaziergang mitzunehmen, da er nicht wisse, worüber er sich mit dem Jungen unterhalten solle, verwandte er seit 1854 viel Zeit für Symposien mit Gelehrten, Künstlern und Lite- raten aus Deutschlands Norden, so als gäbe es in München und Bayern keine geistige Elite. Als „Nordlichter“ verspottet konnten die Gäste in Mün- chen daher nie richtig heimisch werden. Ludwig ärgerte es zeitlebens, dass ihn sein Vater nur „von oben herab behandelte“, ihn nicht würdig für ein Gespräch hielt, ihn also offensichtlich für zu dumm hielt, um sich mit ihm abzugeben. Dass Max II. ausgerechnet eine preußische Prinzessin heiratete, auch das konnte Ludwig nicht gut heißen. Ludwigs Mutter Marie gelang es nicht, den geistigen Hö- henflügen ihres Sohnes Ludwig zu folgen. Lieber plauderte sie bei Kaffeekränzchen mit ihren Hof- damen über belanglose Angelegenheiten. Ludwig verhielt sich zu ihr, trotz gelegentlichen Freund- lichkeiten, häufig distanziert. So ließ er sie einmal mit der Bemerkung abweisen „er habe jetzt keine Zeit, eine preußische Prinzessin zu empfangen.“ Auch als „dumme Gans“ soll er sie im Zorn be- zeichnet haben. Man erzählt sogar, dass er ihr Fortsetzung auf Seite 144

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