Füssener Heimatzeitung Nr. 172

88 Füssener Heimatzeitung Nr. 172 vom März 2019 / II als der Kammerlakai Mayer in die Küche hinunterstürzte und mich anschrie, wie ich dazu kom- me, so laut Musik zu spielen. Der König wolle soeben die Wen- deltreppe im Turm zum Sänger- saal hinaufgehen, doch der Turm, der von der Küche fünf Stock- werke emporstieg, wirke wie ein Schalltrichter. Natürlich war ich höchst bestürzt und stellte die Musik sofort ab. Ich fürchtete, dass es mit meiner Spieldosen- unterhaltung ein für allemal vor- bei sei. Doch es kam anders. Kaum war Mayer verschwunden, als ein zweiter Lakai erschien Fortsetzung von Seite 85  König Ludwig II., 1886, in seinem Todesjahr. Eine der letzten Aufnahmen. So ähnlich verließ er Neuschwanstein. Bild:Joseph Albert, gemeinfrei hallte es durch die drückende Stille: ‘Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten, das man hat, muss scheiden.’ Wie damals, als mich der König hörte, wieder musste ich jäh abbrechen. Nicht wie damals Kammerlakai Mayer, sondern Zanders kommt diesmal die Treppe herunterge- stürzt. ‘Aber Hierneis, sind Sie denn verrückt, drüben in der Hof- kapelle liegt der tote König und sie machen hier Musik.’ Wortlos ergreife ich meine Spieldose und stelle sie ab. Es war das letzte Mal, dass sie für mich gespielt hat.” Die Uhr des Königs bleibt stehen Peresson war in seinen Semes- terferien selber Schlossführer auf Neuschwanstein und zu dieser Zeit war Julius Desing noch Chef dort oben. Desing war ein be- gnadeter Schlossverwalter, der sich viele Jahre intensiv mit König Ludwig und vor allem mit seinen Todesumständen beschäftigt hat. Nächtelang konnte er mit seinen Schlossführern durchdiskutieren. Er war es auch, der sich als erster mit der Standzeit der beiden Ta- schenuhren der Toten beschäftigt hat, der Uhr von König Ludwig II. und der Uhr seines Arztes, Dr. Gudden. Die Taschenuhr des Kö- nigs ist um 18:54 Uhr stehenge- blieben. Die Taschenuhr des Arz- tes um 20:10 Uhr, also 76 Minu- ten später. Und ein Füssener Uhr- macher verriet Peresson, wenn man eine dieser schönen alten Taschenuhren insWasser tauche, dann würde dasWasser die Unruh in kürzester Zeit zumStehen brin- gen. Peresson ist nun in seinem Element: „Das heißt keine fünf Minuten später steht die Uhr. Und wenn die Uhr des Königs schon vor 07:00 Uhr abends ste- mit dem Befehl, ich solle die Mu- sik sofort wieder spielen lassen, denn der König ergötze sich an den feinen Tönen, die ihm der Turm entgegen trage. Er wollte auch wissen, wie der musiklie- bende Küchenjunge mit der Spiel- dose heiße.” Mit dieser Spiel- dose hatte es auch noch ein Nachspiel. Als der König gestor- ben und in der Hofkirche aufge- bahrt war, musste Hierneis 140 Leute verköstigen und war zu- tiefst betrübt über das tragische Ende seines Königs. In einer ru- higen Minute zog er sich zurück und griff wieder zu seiner Spiel- dose, die ihn trösten sollte. „Da

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