Füssener Heimatzeitung Nr. 234

80 Füssener Heimatzeitung Nr. 234 vom Mai 2023 Serie: Alte Sitten und Gebräuche Alte Sitten, Gebräuche und Aberglauben um die Geburt herum im Altlandkreis Füssen Ein Bericht von Uta Creutznacher Eine besondere Faszination üben für den historisch Interessierten immer wieder die Aufzeichnungen über das Leben und die Gebräuche unserer Vorfahren aus. Dieses Thema schlug auch Karl August Reiser (geb. 18. April 1853 in Kornau, gest. 8. Mai 1922 in Kempten) in seinen Bann. Professor Karl August Reiser, der heute weitgehend unbekannt ist, war ein bedeutender Allgäuer Heimat- und Brauchtumsforscher sowie Geologe. Nach bestandener Lehramtsprüfung im Jahr 1872 unterrichtete er als Lehrer in Sonthofen und München. Der unglaublich interessierte Reiser studierte dann noch in München, promovierte 1888 mit der Dissertationsschrift „Über die Eruptivgesteine des Allgäu. Ein Beitrag zur Geologie Bayerns”. Im Jahr 1907 wurde er als Realschulprofessor an die neu gegründete Kgl. Ludwigs-Kreisrealschule München berufen. Seine Frau, Eugenie Tauscher, stammte aus Reutte. Karl August Reiser durchwanderte das Allgäu bis in entlegene Einödhöfe und sammelte in Gesprächen mit über 500Menschen volks- und sprachkundliche Informationen, die er in verschiedenen Werken veröffentlichte, unter anderem in dem Buch: „Sitten, Gebräuche und Aberglauben im Anschluss an Geburt, Hochzeit und Tod.”, auf welches in diesem Bericht Bezug genommen wird. Reiser lebte lange in der Stadt Kempten, der er seine geologisch-paläontologische Sammlung sowie zahlreiche geologische Schriften vermacht hat. Wegen eines schweren Herzleidens musste er aus dem Lehrerberuf ausscheiden und widmete sich bis zu seinem Tod im Jahre 1922 seinen Studien. Fortsetzung auf Seite 83 Von der Hebamme zur Kirche getragen Über die Geburten ist schon seit langer Zeit bekannt, dass die neugeborenen Kinder lange Zeit möglichst schnell im Anschluss zur Taufe gebracht wurden. Erst in jüngerer Zeit, in der die Kin- dersterblichkeit stark nachgelas- sen hat, wird dies nun nicht mehr so streng gehandhabt. Karl Reiser berichtet in seinem oben genann- ten Werk, dass es früher, im 18. und 19. Jahrhundert oder sogar noch früher, in der Reuttener, Aschauer Gegend Brauch war, dass nicht die Mutter oder der Vater, sondern die Hebamme das Kind zur Kirche trug. Erst zur Taufe übernahm die Patin das Kind und trug es auch den ganzen Weg nach Hause. Es war nicht üblich, mit einem Pferdegespann zur

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