Füssener Heimatzeitung Nr. 230

mehr in der alten Harmonie und Selbstverständlichkeit zu fließen, verschmolzen und eins zu sein. Etwas Unmerkliches wirkte zer- setzend auf den Einklang, in dem zuvor alles seinen Platz und sei- nen Frieden hatte. So unbemerkt Angst und Verunsicherung setzte sich in kleinen Nischen der Seele der Menschen fest und begann in ihr Herz vorzudringen und von dort in ihr ganzes Wesen hinein zu pulsieren. Alles geschah so unbemerkt, kaum spürbar und so subtil, dass die Menschen es lange nicht empfanden, wie ver- borgen und gleichzeitig entschlos- sen zielgerichtet der Dämon ihr Bewusstsein eroberte. Sie hatten weder die Wahrnehmung noch irgendwelche innerenWaffen, um es zu bemerken oder gar dagegen gewappnet zu sein. Noch nie hat- ten sie Kontakt zu dunklen Mäch- ten gehabt, als dass sie hätten einschätzen können, wie sehr 100 Füssener Heimatzeitung Nr. 230 vom Januar / II 2023 Da die Menschen im Sternental den Dämon nicht kannten, wussten sie auch nicht um seine Mächte, vor allem nicht um seine Raffinesse, mit der er sie verführen und besiegen könnte. Sie waren unbedarft, kannten sie doch nur ihr unschuldiges Zusammenleben und nicht die zerstörerischen Kräfte und Gefahren, die von solch einem uralten, mythischen Wesen ausgehen konnten. Niemand, außer dem Fürsten selbst, vermochte sich dessen gewahr zu werden, und nur er hatte die Macht, diesem dunklen Wesen Einhalt zu gebieten. Ein Wintermärchen Ein Bericht von Anna Botzenhardt Serie: Märchen Teil 2 Schleichend in die Gefühle In tief versunkenen Gedanken traten Anna und Shyan schwei- gend den Heimweg an. Anna spürte, dass seit jenem Moment sich ein Schleier der Bedeutungs- schwere auf ihre Seele gelegt hatte, der sie jeden Tag der Be- drohung ermahnte, welcher ihr Volk in unsichtbarer Weise aus- gesetzt war. Mit all ihrer Aufmerk- samkeit versuchte sie Verände- rungen im Tal wahrzunehmen, wie sie unheimlich schleichend ihren Weg in die Gefühle und Ge- danken der Bewohner des Ster- nentals bahnten. Selbst ihre Träu- me waren vor der dunklen Macht nicht gefeit. Seltsame, düstere Bilder von uralten, ehemals prachtvollen Blumen, die nicht mehr blühen wollten, von wei- nenden Felswänden ihrer einst so glänzenden Berge, von kla- genden Bäumen und im Wald umherirrenden Gnomen und Elfen begleiteten die Nächte der Ster- nentaler Menschen. Nichts schien sie schon bedroht und im Bann des Bösen waren. Filigranes Unbehagen Verlockende Gedanken und Be- dürfnisse bohrten sich verhäng- nisvoll in das Bewusstsein der Menschen vor und wollten plötz- lich in Erwägung ziehen, die schützenden Grenzen des Tales doch zu übertreten und deren sakrale Bedeutung nicht mehr zu spüren. Alles Heilige, was einst so manifest in den Menschen herrschte und ihr Handeln und Fühlen lenkte, wurde flüchtiger und flüchtiger. Ihr Glaube an die Große Mutter trat zunehmend in den Hintergrund, wurde brüchig und das tiefe Vertrauen, in einem tragenden Netz voller Geborgen- heit aufgehoben zu sein, bekam Risse. Filigranes Unbehagen schmälerte das einstige Urver- trauen Tag für Tag, Jahr für Jahr. Es war ein langwieriges Gesche- hen, welches das Paradies des Fortsetzung auf Seite 103

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