Füssener Heimatzeitung Nr. 215

206 Füssener Heimatzeitung Nr. 215 vom Januar 2022 / II Mit Mythen haben sich Menschen ihre Kultur erschaffen. Schon die ersten Bilder, die Menschen an Höhlenwände malten, waren magischer Natur. Sie zeigten das Erleben des Menschen, der sich in die ständigen Verwandlungen der Welt mit einbezogen sah. In den Märchen werden die Stoffe von alten Mythen, Legenden und Sagen aufgegriffen. Märchen sind zeitlos, sind Rätsel und Lösung zugleich. Gleich einem Traum, den man mit träumen kann, wird darin eine vielfältige Sprache von Bildern und Symbolen verwendet. Ein Bericht von Elisabeth Wintergerst Serie: Mythologie das ursprüngliche Paradies, in dem ein Kind durch seine Mutter getragen und geliebt wird, zer- brochen ist. Dieses Lebensgefühl entspricht dem Patriarchat, in dem es dann nicht um Liebe und Beziehung geht, sondern um Leis- tung und Bezahlung. Märchen greifen hier immer wieder auf matriarchale Werte zurück, so- dass die Helden oder die Glücks- kinder nicht die ältesten, reichs- ten oder gescheitesten sind, son- dern vielmehr die dummen, jüngsten oder armen Kinder. Die Attribute der Muttergöttin Um das Märchen deuten zu kön- nen, beziehungsweise die Ent- wicklung der Hauptperson mit- zuerleben, ist es hilfreich, die Muttergöttin imMärchen anhand ihrer Attribute zu „entdecken”. Dabei darf man sich nicht irre- leiten lassen, wenn die Mutter- göttin meistens nicht in ihrem Glanz erscheint, sondern teilwei- se abgewertet wurde, manchmal sogar als böse Hexe auftritt. Je- Märchen als Begegnung mit der Muttergöttin Die Entwicklung eines Mädchens zur Königin Erstaunlich viele Märchen be- schäftigen sich mit der Frage, wie aus einemMädchen eine Kö- nigin wird. Sei es, dass sie eine Krise überwinden muss, oder dass sie einemmagischen Helfer begegnet, der sie darin unter- stützt, zur Königin oder zur „Gold- marie” zu werden. Dazu gehören auch so bekannte Märchen wie Aschenputtel, Frau Holle, Dorn- röschen, Rumpelstilzchen, Frosch- könig, Hänsel und Gretel, Rot- käppchen, Rapunzel oder Schnee- wittchen. Die böse Stiefmutter Warum sind eigentlich in den Märchen die Stiefmütter immer böse? Mit der Stiefmutter wird ein bestimmtes Lebensgefühl ver- bunden. Die grenzenlose Liebe der eigenen Mutter gibt es nicht mehr, sondern stattdessen nur eine Stiefmutter, die das Kind nicht wirklich liebt. Die Stiefmut- ter ist der Ausdruck dafür, dass  Das magische Werkzeug bei Dornröschen ist die Spindel, seit Urzeiten das Symbol für das Spinnen des Lebensfa- dens. Bild: Deutsches Mär- chen- und Wesersagenmuse- um/Hanna Dose [CC BY-NC-SA]

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYxMw==