Füssener Heimatzeitung Nr. 195

128 Füssener Heimatzeitung Nr. 195 vom Oktober 2020 In der letzten Ausgabe der Füssener Heimatzeitung berichteten wir über den neu entdeckten Geheimgang der Burg Ehrenberg. Wenn man entlang der alten Mauern läuft, beginnt man darüber nachzudenken, welche Geschichten die alten Gesteine schon erlebt und beobachtet haben. Es ist kaum vorstellbar, was in solch alten Burgen und Gemäuern schon alles passierte. Umso wertvoller ist es, dass einige Geschichten bis heute noch bekannt sind. In dieser Ausgabe berichten wir über eine besonders dramatische Geschichte, die auf eine besondere Weise mit der Burg Ehrenberg verbunden ist. Als 1716 niemand mehr die Burg verlassen oder betreten durfte, sprach sich schnell in Reutte herum, dass hohe Persönlichkeiten in Ehrenberg sein mussten. Selbst die Wachmannschaft wurde nicht wie üblich ausgetauscht und allen war klar, dass hier etwas Geheimnisvolles passierte. Ein Bericht von Raborne Gaißmayer Serie: Burgenwelt Ehrenberg Ungeliebter Sohn Alexei Petrowitsch war der Sohn des berühmten Zaren Peter der Große. Er wurde 1690 als erster Sohn und Thronfolger in Moskau geboren. Zeitlebens trug er den Adelstitel Zarewitsch, welchen Thronfolger von russischen Zaren erhielten. Alexeis Eltern hatten keine glückliche Ehe, die Mutter, streng gläubig, wollte das alte Russland erhalten und an den Grundsätzen der orthodoxen Kir- che festhalten. Sein Vater Peter der Große galt als weltoffen und pflegte viele Kontakte nach Europa. Er sah die russisch-or- thodoxe Kirche als Feind seiner Reformen an und unterdrückte sie immer stärker. Als die Kon- flikte mit seiner Frau eskalierten, sperrte er sie in ein Kloster und Kaiserliche Geheimnisse auf Burg Ehrenberg gab den Sohn an vertraute Lehrer. Peter I. gab den Lehrern die Auf- gabe, seinem Sohn die eigene Weltanschauung näherzubringen und die strengen religiösen An- sichten der Mutter aus seinem Kopf zu verbannen. Doch es sollte anders kommen, Alexei distan- zierte sich immer mehr von sei- nem Vater und führte sogar mit Feinden des Zaren Gespräche. Die Angst des Vaters, sein Sohn würde ein ernsthafter Konkurrent werden, wuchs immer mehr. Als der Vater 1716 auch seinen Sohn in ein Kloster sperren wollte, er- griff dieser die Flucht, um im Aus- land einenWiderstand gegen sei- nen Vater zu bilden. Doch Alexei Petrowitsch war längst nicht so selbstbewusst und charismatisch wie sein Vater, er trank viel Alko- hol, um die Probleme seiner schweren Kindheit und Jugend wenigstens ein bisschen zu ver- gessen. Flucht nach Ehrenberg Durch seine Ehe mit einer Prin- zessin aus dem Hause Braun- schweig-Wolfenbüttel hatte der Flüchtige einen direkten Draht zu Kaiser Karl VI. in Wien. Der Kaiser war nämlich mit der Schwester von Alexeis Frau liiert. So war es naheliegend, nach Wien zu flüchten, umVerbündete für den geplanten Sturz zu finden. Wie in späteren Ermittlungsakten zu lesen ist, war sein langfristiger Plan, auf den Tod seines Vaters im Ausland zu warten, um dann mithilfe der Österreicher den rus- sischen Thron zu besteigen. Der

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