Füssener Heimatzeitung Nr. 195

111 Füssener Heimatzeitung Nr. 195 vom Oktober 2020 Gralsträgerin wird manchmal die Gemahlin des Gralssiegers, wie Kundry - Kondwiramur - Blanche- fleur, oder von ihm verheiratet wie Repanse de Schoye. Die Hin- weise auf eine wahrscheinlich ursprüngliche Heilige Hochzeit zwischen Gralsträgerin und Grals- sieger sind viele: So ist der Mantel der Gralsbotin mit Tauben ge- schmückt, ein Symbol, das den Rittern sofort ihre Verbindung zum Gral zeigt. Tauben sind seit ältester Zeit das Symbol von Lie- besgöttinnen wie Aphrodite oder Astarte, deren weiteres Totemtier ein Fisch ist. Nicht nur unzählige Tauben befinden sich in ihren Tempeln, sondern auch heilige Fische. Rituell gegessen nahmen die Priester so am Fleisch ihrer Göttin teil. Forscher gehen davon aus, dass das traditionelle Fisch- mahl der Juden am Freitag, dem Tag der Venus, auf diesen Brauch zurückzuführen ist. Wieder ist aber die Verbindung zu Liebes- göttinnen hergestellt, deren Kult erwiesenermaßen eine Heilige Hochzeit beinhaltet. Einen wei- Kesselkult: seit der Jungsteinzeit in Europa an vielen Orten nachgewiesen Inhalt des Kesselkults: Nahrung, Erlösung, Wiedergeburt, Heilung Abgewerteter Kesselkult: Darstellung von Hexen, die im Kessel Gift oder Unwetter zusammenbrauen Gralslegende: Im späten Mittelalter in Va- riationen schriftlich niedergelegt unter Ver- wendung von weitaus älteren Motiven. Die Artus-Sage beinhaltet eine Suche nach dem Gral. Erste Erwähnung der Gralslegende: Chretien de Troyes im Roman Perceval um 1180 bis 1190 Info-Kasten teren Hinweis bietet der Fischer- könig selbst, der in manchen Quellen tot oder verwundet ist. Er ist sowohl mit dem Helden der Geschichte, als auch mit der Gralsträgerin verwandt. Auf der physischen Ebene deutet die Gralslegende auf einen Frucht- barkeitsritus hin. Auf der spiri- tuellen Ebene wird die Gralsträ- gerin zur Schechinah (Wohnstatt Gottes, in der Liebe, Friede, Hel- ligkeit und Glück herrschen), mit deren Vereinigung es überhaupt möglich wird, zum Gefäß zu wer- den, welches das spirituelle Was- ser der Quelle überhaupt erst fassen kann. Die Gralsträgerin selbst verschmilzt mit dem Gral. Sie, die Göttin des Landes, war der erste Kelch, das erste auf- nehmende Prinzip. Um vom Gött- lichen gefüllt zu werden und es in uns zu spüren, müssen wir zum Kelch werden können. So lautet die Frage in den frühesten Gralstexten auch nicht „Wem dient der Gral?“, sondern „Was ist der Gral?“. ■

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