Füssener Heimatzeitung Nr. 194

31 Füssener Heimatzeitung Nr. 193 vom August 2020 ein paar Tagen in Kauf, um einige schöne deutsche Städte zu be- suchen und bereute, wegen der Verletzung des Maulesels nicht schon in Wangen diese Entschei- dung getroffen zu haben. Unter- wegs kamen wir wieder an einigen Wassermühlen vorbei. Sie werden aus Rinnen gespeist, die am Fuße einer Erhöhung ansetzen und dann auf Pfosten gestützt hoch über dem Boden verlaufen, ehe sie am Ende das Wasser über ein starkes Gefälle auf die Mühl- räder herabstürzen lassen. Mit- tags erreichten wir Füssen, eine Meile. Das ist eine kleine katho- lische Stadt, die dem Bischof von Augsburg gehört. Wir trafen dort viele Leute aus dem Gefolge des Erzherzogs von Österreich, der sich mit den Herzogen von Bayern im benachbarten Schloss (ge- meint war wohl Schloss Hohen- schwangau) aufhielt. Mit einigen anderen stieg ich (nur der Se- kretär, nicht Montaigne) dort auf ein sogenanntes Floß, das uns und unser Gepäck über den Lech nach Augsburg bringen sollte. Es handelt sich hierbei um aneinan- der befestigte Holzstämme, die sich ausdehnen, wenn sie am Hafen liegen.” In Füssen gespeist In Füssen angekommen, wurden sie freundlich bewirtet und in die Geschichte Füssens eingeführt. Sogar eine kleine Klosterführung gehörte dazu, wie der Reisebe- richt weiter verlauten lässt: „In Füssen befindet sich auch eine Abtei (Kloster St. Mang), in der man uns einen Kelch und eine Stola zeigte, die sie in einem Re- liquienschrein aufbewahren und die einem Heiligen namens Mag- nus gehört haben wollen, angeb- lich Sohn eines schottischen Kö- nigs und Schüler von Kolumban. Pipin gründete diesem Magnus zu Ehren das Kloster und setzte ihn als ersten Abt ein. Hoch oben auf dem Kirchenschiff steht fol- gende Inschrift (und darüber Mu- siknoten, um den Text in Musik zu setzen): Comperta virtute beati Magni fama, Pipinus Princeps lo- cum quem sancta incoluit regia largitate donavit. (Nachdem er von der viel gerühmten Tugend des seligen Magnus erfahren hat- te, beschenkte König Pippin den Ort, an dem der Heilige gelebt hatte, mit reichlich königlichen Gaben.) Später beschenkte Karl der Große das Kloster reich, was man ebenfalls in einer Inschrift lesen kann. Nach dem Essen bra- chen wir auf und kamen die einen wie die anderen spät abends nach Schongau, vier Meilen da- von, einer kleinen Stadt des Her- zogs von Bayern …” Deutsches Essen ist vorzüglich Das Essen war vorzüglich, be- sonders hob Montaigne hervor, dass es meist hartgekochte Eier gab, die geviertelt auf hervorra- gendem Salat mit stets frischen Kräutern serviert wurden. Das deutsche Essen besitze einen derartigen Wohlgeschmack, so Montaigne weiter, „dass die Kü- che des französischen Adels kaum damit zu vergleichen sei. Wir haben nie zuvor so delikate Gerichte gegessen, wie sie dort gang und gäbe sind”. Was Michel de Montaigne außer dem vor- züglichen Essen noch sehr ver- blüffte, war die Tatsache, dass im gesamten Allgäu die Protes- tanten und Katholiken sehr gut miteinander auskamen und ne- beneinander bestehen konnten. Überall, wohin er kam, suchte er Kontakt zur Geistlichkeit und in- teressierte sich stark für dieses Thema, mit dem er in Frankreich selbst solche Probleme hatte und immer wieder Frieden stiften musste. Aber die Allgäuer waren wohl sehr viel toleranter als die streitsüchtigen Franzosen. Zitat von Montaigne: „Es ist höchste, fast göttergleiche Vollendung, wenn man das ei- gene Sein auf rechte Weise zu genießen weiß. Wir suchen an- dere Lebensformen, weil wir die unsre nicht zu nutzen verstehen; wir wollen über uns hinaus, weil wir nicht erkennen, was in uns ist. Doch wir mögen auf noch so hohen Stelzen steigen – auch auf ihnen müssen wir mit unsren Bei- nen gehen; und selbst auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir nur auf unsrem Arsch.“ Quelle: Michel de Montaigne: „Bodensee - Allgäu - Augsburg, aus den süddeutschen Reise- tagebüchern“ ■ Geboren : 28. Februar 1533 im elterlichen Château de Montaigne bei Bordeaux Gestorben : 13. September 1592, Château de Montaigne bei Bordeaux Besuch in Füssen : 1580 Beruf : Gerichtsrat und Bürgermeister von Bordeaux Berufung : Philosoph, Begründer der literarischen Form der Essays Info-Kasten Bildnachweis 1 Bild: Mcleclat (https://commons. wikimedia.org/wiki/File :Montaigne_ coffre.jpg), „Montaigne coffre“, https:// creativecommons.org/licenses/by-sa/ 3.0/legalcode Fortsetzung von Seite 29

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