Füssener Heimatzeitung Nr. 188

100 Füssener Heimatzeitung Nr. 188 vom April 2020 Fortsetzung auf Seite 104 In der Schindau - dem schönsten Fleck auf Erden! Das Leben im alten Füssen war male- risch: Im Winter fuhr der Schneepflug mit acht Pferden und die Kinder durften alle darauf sitzen, damit er mehr Ge- wicht hatte. Am Schrannenplatz war der Schneeberg so hoch, dass die Kin- der dort Schlitten fahren konnten. Autos fuhren so gut wie keine. Damals gab es in Füssen nur wenige, die ein Auto besaßen, den Metzger, den Viehhänd- ler, den Doktor und den Buchdrucker Keller, der einen Opel fuhr. Die alten Füssener erlebten ihre kleine Welt, die sich oft nur über ein oder zwei Straßen erstreckte, als ihr Paradies. So auch Josef Dicht, dessen Paradies - die Dre- hergasse - zwischen Schrannenplatz und Kappenzipfel lag. Es war eine Zeit, in der alles, wasman zumLeben brauch- te, noch in der eigenen Gasse herge- stellt wurde oder zu kaufen war, eine kleine heile Welt, in der jeder jeden kannte, jeder jedem aushalf und jeder die Not des anderen teilte. Eine Gasse, in der man sich absolut geborgen fühlen konnte. Der schönste Fleck auf Erden! Ein Bericht von Monika Philipp Serie: Füssener Persönlichkeiten Josef Dicht 2. Teil D’ Hex’ in der Drehergasse - Auf Messers Schneide Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft stieg Josef Dicht – gezeichnet von den Strapazen des Lagers – wieder in der väterlichen Werkstatt ein. Es gab nicht die Zeit, sich zu erholen oder seine seelischen Wunden zu lecken, er musste eine Familie versorgen. Gerade war er der einen Not entronnen und schon tat sich eine neue auf. Kein einziger Kunde kam in die Werkstatt, sodass er richtig in Not geriet. Er wusste überhaupt nicht, wie er seine Familie und seine hungernden Kinder ernähren sollte. Sie hatten einfach überhaupt nichts zu essen. Josef Dicht war deshalb richtig verzweifelt. In seinem Elend wandte er sich an eine Frau in der Drehergasse, die sich auch mit Abbeten auskannte, ob sie nicht eine Idee hätte, was er machen könne. Sie meinte nur: „Da muss ich dei Werkstatt anschauen!” Das tat sie auch und wusste sofort, was los war: „Das ist glasklar, vorne a Tür und genau gegenüber nach hinten a Tür. Da fliegt die Hex’ durch - vorne rein und hinten raus. Die musst du vertreiben, sonst wird’s nie was.” Sie gab ihm den Rat, über der Eingangstüre innen ein Messer mit der Schneide nach oben in den Türstock zu rammen. Dann könne die Hexe nicht mehr darauf sitzen und er hätte seine Ruhe. Die Frau meinte: „Die ka mit dem Fiedla it auf der Schneide hocka”. Auch wenn er das Ganze sehr bezweifelte, dachte er bei sich, es könne ja auch nicht schaden. Und noch am selben Tag schnitzte

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