Füssener Heimatzeitung Nr. 187

32 Füssener Heimatzeitung Nr. 187 vom März 2020 Seelenvogel Schwan Haben Sie schon einmal einen Schwan gegessen? Nein? Ich auch nicht und ich kenne auch (Gott sei Dank) niemanden. Denn anders als bei Hühnern, Gänsen und Enten schützt den Schwan ein mächtiges Tabu davor, gejagt, gemästet oder geschlachtet zu werden. Es ist ein uraltes Tabu, das bis in vorchristliche Zeit zurück geht. In den Märchen vom „Hässlichen Entlein” und „Die sechs Schwäne” hat der Schwan die Phantasie beflügelt. Sein Name leitet sich von „suen” = rauschen ab und beschreibt das starke Fluggeräusch, wenn sich ein Schwan durch die Lüfte schwingt. Ein Bericht von Elisabeth Wintergerst Serie: Mythologie der einheimischen Vögel Fortsetzung auf Seite 34 Die Ritter von Schwangau Der Name Schwangau ist so selbstverständlich, dass es na- hezu vergessen ist, dass Schwan- gau sich auf den Schwan bezieht. Die Tatsache, dass der Schwan zum Namensgeber und Wappen- tier der Ritter von Schwangau ge- worden ist, ist bisher nur sehr wenig gewürdigt worden. Noch bevor sich die Schwanenrittersage in Europa verbreitet hat, wählten die Edlen von Schwangau den Schwan schon zu ihremWappen- tier. Es stellt sich die Frage, ob dieser Wahl nicht nur heraldische Gründe, sondern auch die Vor- stellung von einem Totem-Tier zugrunde liegen. Heraldik In der Heraldik bedeutet der Schwan Vollkommenheit, Schön- heit und Anmut. Es stellt auch Reinheit, Königlichkeit, Licht, Lie- be, Gnade, Aufrichtigkeit, Har- monie, Gelehrigkeit und Perfek- tion dar, einen Schwan im Wap- pen zu führen. Da sich Schwa- nenpaare ein Leben lang mitei- nander verbinden, ist er auch ein Symbol der Treue. Die Mythologie des Schwans ist uralt. Der Volks- glaube sagt, dass sich Engel manchmal in Schwäne verwan- deln und deswegen immer mit Schwanenflügeln dargestellt wer- den. Bei den Kelten war es der Schwan, der die Barden zu Lie- dern inspirierte. Seine Anwesen- heit galt als Botschaft und Zei- chen (mir „schwant“ etwas). Wie der Storch trägt der Schwan die Farben der Muttergöttin: schwarz- weiß-rot. Die Urvölker in Europa verehrten ihn deswegen als gött- liches Tier. Daher auch das Tabu, das ihn vor Verfolgung und Ver- zehr schützt. Was ist ein Totem? Ein Totem ist wesentlich stärker als ein Wappen. Das Wort Totem stammt aus der Sprache der nord- amerikanischen Indianer (otote- ma) und bedeutet Sippe, Ahnen, blutsverwandte Geschwister. Möglicherweise besteht eine Ver- bindung zu dem Wort Odem = Atem, Hauch, wie es sich auch als Bestandteil in Vornamen wie Otto und Ottilie (= Od-Linde, denn tilia = lat. Linde) findet. To- temistische Vorstellungen, dass eine Sippe oder eine Adelsfamilie von einem Tier abstammt oder sich wieder in dieses Tier ver- wandeln kann, sind in Europa sehr selten. Die Fanes-Sage in den Dolomiten enthält bezüglich der Murmeltiere solche Totem- Anklänge. Die totemistische Tier- abstammung ist wiederum immer mit dem Motiv der „Mahrten- Ehe“ verknüpft: Ein menschlicher Partner trifft einen geheimnisvol- len Fremden aus einer mythischen Welt, der weder Name noch Ab- stammung preisgibt, aber im Falle der Ehe Glück und Fruchtbarkeit bringt. Die Ehe kommt zustande und ein mächtiges Herrscherhaus entwickelt sich, aber unvermeid- lich wird das auferlegte Tabu vom menschlichen Partner gebrochen. Der übernatürliche Partner ist da-

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYxMw==