Füssener Heimatzeitung Nr. 184

158 Füssener Heimatzeitung Nr. 184 vom Januar 2020 / II Heraklit von Ephesos Die fließende Bewegung des Logos Am Fenster stehend blickt er hinaus. Seine Seele ist abwesend und doch so tief anwesend, wie sie nur selten ist. Denn der Fluss, der frech und müde mit den Sonnenstrahlen spielend vor dem Hause sich durch die Landschaft räkelt, hat sie sanft fortgerissen. Leise flüsternd, rauschend, hat er sie an die Hand genommen und in die Tiefe gezogen. Durch das blickende Auge umschmeichelt der sich stetig bewegende Fluss die Seele. Liebkost sie, spricht in sie hinein, bringt sie in Schwingung und lässt sie sein verborgenes Lied mitsingen. Langsam öffnend ergießt er sich in sie. Zeigt ihr die helle Dunkelheit der Ewigkeit. Flüstert in die lauschend, berührte Hand das Geheimnis des Lebens, den Logos der Wirklichkeit: „πάντα ῥ ε ῖ , alles fließt!” Ein Bericht von Friede Halevi Serie: Philosophie Fortsetzung auf Seite 160 Dunkelheit Heraklit von Ephesos (geboren ca. 520 v. Chr., gestorben ca. 460 v. Chr.) kam aus aristokratischer Familie, lehnte zugunsten seines kleineren Bruders die „amtliche Königswürde” ab und war wohl eine der markantesten und tief- gründigsten Persönlichkeiten, die je gelebt haben, von leidenschaft- lichem, ur- und eigenwüchsigem und unerhörtem Selbstbewusst- sein getragen. Er setzte sich mit der werdenden und sich immer wandelnden Wirklichkeit ausei- nander und sah in den Gegen- sätzen Einklang. Schon in der Antike bekam er den Beinamen „der Dunkle”, denn seine Schrif- ten und Lehre waren voller schein- barer Widersprüche und Parado- xien, die bis heute nur wenige wirklich verstehen. Oshos Mei- nung dazu war jedoch: „Sagt nicht, er ist dunkel. Sagt, wir sind blind oder unsere Augen sind ge- schlossen. Du kannst Dich mit geschlossenen Augen vor die Sonne stellen und sagen, sie sei dunkel. Oder es kommt vor, dass Du mit offenen Augen in die Son- ne blickst, aber das Licht ist so stark, dass Deine Augen vorü- bergehend blind werden. [...] Die Sonne ist zu viel für Deine Augen und so bist Du in Dunkelheit. Und so ist es auch mit Heraklit.” Wer den Logos nicht hört, der höre auf mich Heraklit litt darunter, dass man ihn nicht verstand und nicht ver- stehen wollte. Er hatte den Weg des Verstehens der Wirklichkeit eingeschlagen. Das war kein ra- tionales Verstehen, wie man viel- leicht denken könnte, es war ein tiefes Verständnis des Lebens, das vom Kopfe her kaum bis gar nicht zu begreifen ist, was wie- derum den Menschen die Worte Heraklits schwer gemacht hat. Er meinte zu ihnen: „Menschen sind selbst in wachen Augenblicken wie Blinde, und beachten das, was um sie her geschieht, so we- nig wie in ihrem Schlaf.“ Aristo- teles, der den Ton der geistigen Entwicklung der westlichen Welt angab, konnte Heraklit ebenfalls nicht verstehen. Denn er meinte, der Dunkle müsse einen Charak-

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