Füssener Heimatzeitung Nr. 176

95 Füssener Heimatzeitung Nr. 176 vom Juni 2019 / II Ein schlagendes Herz ist etwas unglaublichSchönes. Sein unermüdlichesSchlagen und Pulsieren trägt uns in seinem Rhythmus wie auf Flügeln in die Unendlichkeit der Lebendigkeit. Sein Klang ist Heimat, Glück und Geborgenheit. Solch ein schlagendes Herz besitzen aber nicht nur Lebewesen. Auch ein Gebäude kann solch ein schlagendes Herz in sich tragen. Früher war in den alten Bauernhöfen das Herdfeuer der Küche dieses schlagende Herz. Das Feuer im Herd durfte nie erlöschen, an dieseswar alles geknüpft. Schutz, Nahrung, Sicherheit, Geborgenheit, Heimat. Solange das Herdfeuer brannte, war das Haus geschützt und voller Le- bendigkeit. Hier wärmte man sich auf, hier erfuhr man den Klatsch und Tratsch und hier erfuhr man Heimat und Geborgenheit. Es gab kaumeinen vergleichbaren Ort, welcher einem so ein tiefes Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit geben konnte. Dies fühlten die Menschen früher noch sehr viel deutlicher als heute, denn ging man aus dem Haus, so machte man ein Kreuzzeichen, damit das Herdfeuer geschützt vor dem Erlöschen war und kein Feuer ausbrach. Dieses Herdfeuer war heiligster Schutz für die Familie und alle, die zusammen unter dem Dach wohnten. Zog man in ein neues Haus, so wurde das neue Herdfeuer mit der Glut des alten entfacht. Heute sammeln sich stattdessen die Menschen lieber vor dem Fernseher, wir leben nicht mehr mit Knechten und Mägden zusammen und kennen somit kein Leben in Gemeinschaft mehr. Im Dornröschenschlaf Betritt man ein Schloss wie Neuschwanstein und sucht das Herz dieses Hauses, so wird man sich schwertun, denn es ist ein Gebäude voller Tiefe und Seele. Wo soll man hier mit einer Suche be- ginnen? Man ist schnell geneigt, den Thronsaal, oder die Gemächer von Ludwig und anderes für das Zentrum zu halten und dieses Gefühl hat auch sicherlich seine Berechtigung, denn diese Räume sind so voll von Stimmung, Seele und Erinnerungen. Und doch gibt es eine Ebene, auf der man, wenn man die Schlossküche betritt, fühlen kann, dass auch in einem prunkvollen Schloss das Herz vor allemhier geschlagen hat. Die Küche in Neuschwan- stein ist, anders als in den Schlössern Linderhof und Herrenchiemsee, vollständig erhalten. Sie be- findet sich in den Parterre-Räumlichkeiten des Hauptgebäudes und hatte die Kapazitäten, in ihr für ein ganzes Heer von Rittern kochen zu können. Leider kam dies nie zustande. Sie wirkt ein wenig wie in einem hundertjährigen Schlaf aus einem Märchen und so, als könne man sie jederzeit durch einen Kuss wieder zum Leben und Pulsieren erwe- cken. Ein Funke würde genügen und schon würde das Feuer gierig seine Zungen nach demHolzscheit Fortsetzung auf Seite 96  Es braucht nur diesen einen heißen, innig- lichen Kuss, diesen Funken, um das Feuer zu entfachen und Heimat entsteht. Bild: Unsplash

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